Rompilger

Jährlich pilgern jährlich unzählige Menschen nach Rom. In Reisebussen, Flugzeugen oder mit der Bahn kommen sie in die Heilige Stadt, um dort den Papst zu erleben, und dort in den 7 Pilgerkirchen und vor den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus zu beten. Natürlich führen auch touristische Motive auf das Reiseziel.

Und dies ist seit dem 4. Jahrhundert so. Auch wenn es weltweit zahllose andere Pilgerzentren gibt, Rom nimmt nach wie vor eine Sonderstellung ein. In der Ewigen Stadt haben nicht nur die erwähnten Apostel die letzte Ruhe gefunden, dort wird auch das Schweißtuch der Veronika aufbewahrt, das zu den wichtigsten Christus-Reliquien zählt und das Antlitz des gefolterten Erlösers zeigen soll. Heute wird das kostbare Tuch nicht mehr ausgestellt, im Mittelalter – und speziell im Heiligen Jahr 1300 – war es aber eines der wichtigsten Ziele für die Pilgerströme. Die es übrigens ungleich schwerer hatten als die modernen Christen, immerhin mussten sie die Strecke zu Fuß zurücklegen.

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Die Pilger aus allen Teilen der Welt brachten natürlich jede Menge Geld in die Stadt, Gregorius ging davon aus, dass sich an jedem Tag des Heiligen Jahres 200000 Pilger innerhalb der Stadtgrenzen aufhielten, die eine Herberge und natürlich auch Lebensmittel haben mussten. Dazu kamen noch an den Reliquienstätten die eine oder andere Spende, die von den Klerikern "mit Rechen in der Hand zahllos zusammengescharrt" wurde, wie Gregorovius berichtet... Zwar waren die Menschen, die sich auf den Weg in die Hauptstadt der Welt, wie Rom gerne genannt wurde, selbst nur mit dem Nötigsten ausgestattet, dennoch hatten sie Opfergeld dabei.  Aber trotz offensichtlicher Zeichen (die Jakobsmuschel auf dem Weg nach Santiago del Compostella, die Schlüssel als Zeichen des Petrus auf dem Weg nach Rom tragend) barg der lange Weg zahlreiche Gefahren. Doch auch ohne Überfälle oder Unfälle kam es vor, dass einige der ermatteten oder älteren Menschen während ihres Aufenthaltes in Rom – der mehrere Wochen dauerte – verstarben. Seit dem 14. Jahrhundert wurden sie auf dem Campo Santo Teutoni (auf dem Gebiet des heutigen Vatikanstaates) beigesetzt.

Altes Wallfahrtslied der Rompilger:
(zitiert nach Beissel, Stephan, Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland im Mittelalter, Darmstadt 1976 <Nachdruck>)

 

In Gottes Namen fahren wir,
Seiner Gnad‘ begehren wir,
Nu helfe uns allen Gottes Kraft,
Verleih‘ uns allen große Macht.
Kyrie eleyson.

In Gottes Namen fahren wir,
Zu Gott dem Vater rufen wir:
Behüt‘ uns, Herr, vorm ewigen Tod
Und du uns hilf in unsrer Not
Kyrie eleyson.

In Gottes Namen fahren wir,
Zu unserm Heiland flehen wir,
Dass er uns durch die Mater sein
Machen woll‘ von den Sünden rein.
Kyrie eleyson.

Gregorovius schreibt in Buch X. seiner Geschichte über die Stadt Rom zu den Pilgern im Heiligen Jahr 1300:

Der Zudrang war beispiellos. Rom bot Tag und Nacht das Schauspiel von heergleich hereinströmenden oder herausziehenden Pilgern dar. Ein Betrachter dieser großen Szene konnte von einer Höhe der Stadt herab von Süd, Nord, Ost und West Menschenschwärme gleich wandernden Völkern auf den alten Römerstraßen herankommen sehen, und wenn er sich unter sie mischte, Mühe haben, ihre Heimat zu erraten. Es kamen Italiener, Provençalen, Franzosen, Ungarn, Slawen, Deutsche, Spanier, selbst Engländer. Italien gab den Wandernden die Straßen frei und hielt Gottesfrieden. Sie zogen einher im Pilgermantel oder in den Nationaltrachten ihrer Länder, zu Fuß, zu Pferde, auf Karren, Müde und Kranke führend, beladen mit ihrem Gepäck; man sah hundertjährige Greise von ihren Enkeln geleitet und Jünglinge, welche wie Aeneas Vater oder Mutter auf ihren Schultern nach Rom trugen. Sie redeten in vielen Landessprachen, aber sie sangen in der einen Sprache der Kirche Litaneien, und ihre sehnsüchtigen Vorstellungen hatten ein und dasselbe Ziel. Wenn sie in der sonnigen Ferne den finstern Wald der Türme der heiligen Stadt erscheinen sahen, so erhoben sie den Jubelruf »Roma! Roma!«, wie Schiffer, die nach langer Fahrt auftauchendes Land entdecken. Sie warfen sich zum Gebete nieder und richteten sich auf mit dem inbrünstigen Geschrei: »St. Petrus und Paulus, Gnade!«. An den Toren empfingen sie ihre Landesgenossen und Verpflegungsbeamte der Stadt, ihnen Herberge zuzuweisen, doch sie zogen erst zum St. Peter, die Treppe des Vorhofs auf Knien zu ersteigen, und warfen sich dann mit Ekstase am Apostelgrabe nieder.

Ein ganzes Jahr lang war Rom ein völkerwimmelndes Pilgerlager und von babylonischer Sprachenverwirrung erfüllt. Man sagt, dass täglich 30 000 Pilger aus- und einzogen und dass 200 000 Fremde sich täglich in der Stadt befanden. Der Umfang Roms wurde nach langer Zeit zum Ersten Mal wieder hinreichend belebt, wenn auch nicht ausgefüllt. Eine musterhafte Verwaltung sorgte für Ordnung und für billige Preise. Das Jahr war fruchtreich; die Campagna und die nahen Provinzen schickten Vorrat in Fülle. Ein pilgernder Chronist erzählt: »Brot, Wein, Fleisch, Fische und Hafer waren reichlich und billig auf dem Markt, das Heu aber sehr teuer; die Herbergen so kostbar, dass ich für mein Bett und für die Stallung meiner Pferde, außer dem Heu und Hafer, täglich einen Torneser Groschen bezahlen musste. Als ich am heiligen Christabend Rom verließ, sah ich einen großen Pilgerschwarm fortziehen, den niemand berechnen konnte. Die Römer wollen im ganzen zwei Millionen an Frauen und Männern gezählt haben. Oft sah ich Männer wie Weiber unter die Füße getreten, und mit Mühe entkam ich selbst einige Male dieser Gefahr.«

Der Weg, welcher aus der Stadt über die Engelsbrücke zum St. Peter führte, war zu eng; man eröffnete daher in der Mauer, nicht weit vom alten Grabmal Meta Romuli, eine neue Straße am Fluss. Um Unglücksfälle zu verhüten, traf man die Vorrichtung, dass die Hinziehenden auf der einen, die Herkommenden auf der andern Seite der Brücke gingen, welche damals, mit Buden bedeckt, der Länge nach in zwei Hälften geteilt war. Prozessionen zogen ohne Aufhören nach St. Paul vor den Toren und nach St. Peter, wo man die schon hochberühmte Reliquie, das Schweißtuch der Veronika, zeigte. Jeder Pilger legte eine Opfergabe am Apostelaltar nieder, und derselbe Chronist von Asti versichert als Augenzeuge, dass am Altar in St. Paul Tag und Nacht zwei Kleriker standen, die mit Rechen in der Hand zahlloses Geld zusammenscharrten. Der märchenhafte Anblick von Geistlichen, welche lächelnd Geld wie Heu aufschaufelten, veranlasste boshafte Ghibellinen zu behaupten, dass der Papst das Jubeljahr nur um des Geldgewinnes willen ausgeschrieben habe. Und Geld brauchte Bonifatius freilich viel, um seinen Krieg wider Sizilien zu bestreiten, welcher unberechenbare Summen verschlang. Wenn die Mönche in St. Paul statt Kupfermünzen Goldflorene vorgefunden hätten, so würden sie allerdings fabelhafte Reichtümer gesammelt haben; jedoch die Geldberge in St. Paul und St. Peter bestanden meist nur aus kleinen Münzen, den Gaben geringer Pilger. Der Kardinal Jakob Stefaneschi bemerkte dies ausdrücklich und beklagte die Umwandlung der Zeiten, wo nur noch Arme opferten, die Könige aber, unähnlich den drei Magiern, dem Heiland nichts mehr zum Geschenke brachten. Die Jubiläumseinnahme, wovon der Papst den beiden Basiliken Kapitalien zum Ankauf von Gütern zuweisen konnte, war gleichwohl beträchtlich genug. Wenn in gewöhnlichen Jahren die im St. Peter dargebrachten Pilgergeschenke 30 400 Goldgulden zu betragen pflegten, so mag man daraus schließen, um wie viel ansehnlicher die Gewinste des großen Jubeljahrs gewesen sein müssen. »Die Gaben der Pilger«, so schrieb der Chronist von Florenz, »trugen der Kirche Schätze ein, und die Römer alle wurden durch den Verkauf von Waren reich.«

Das Jubeljahr wurde in der Tat für sie ein Goldjahr. Sie behandelten daher die Pilger mit Zuvorkommenheit, und nirgendwo wurde von Gewalttaten gehört. Wenn der Sturz des Hauses Colonna dem Papst Feinde in Rom erweckt hatte, so entwaffnete er sie durch den unermesslichen Vorteil, welcher den Römern erwuchs, die immer nur von dem Gelde der Fremden gelebt haben. Ihre Senatoren waren damals Richard Annibaldi vom Colliseum (aus welchem die Annibaldi bereits die Frangipani verdrängt hatten) und Gentilis Orsini, deren Namen man noch heute auf einer Inschrifttafel im Kapitol lesen kann. Diese Herren ließen sich durch die fromme Begeisterung der Wallfahrt nicht hindern, Kriege in der Nachbarschaft zu führen; sie ließen die Pilger an den Altären beten, aber sie selbst rückten mit den Bannern Roms gegen Toscanella und unterwarfen diese Stadt dem Kapitol.

Man mag sich vorstellen, wie massenhaft Rom damals Reliquien, Amulette und Heiligenbilder verkaufte, und zugleich, wie viele Reste des Altertums, Münzen, Gemmen, Ringe, Bildwerke, Marmortrümmer und auch Handschriften, von den Pilgern in ihre Heimat entführt wurden. Wenn sie ihren religiösen Trieben genuggetan hatten, warfen diese Wallfahrer staunende Blicke auf die Monumente der Alten. Das antike Rom, welches sie mit dem Mirabilienbuch durchwanderten, übte dann seinen tiefen Zauber auf sie aus. Dies klassische Theater der Welt belebten im Jahr 1300 neben den Erinnerungen des Altertums andere an die Taten der Päpste und Kaiser seit Karl dem Großen, und ein für die Sprache der Geschichte empfänglicher Geist musste gerade damals mächtig von ihr ergriffen werden, wo Pilgerscharen aller Länder in dieser majestätischen Trümmerwelt für den ewigen Bezug Roms auf die Menschheit die lebendigen Zeugen waren. Es ist kaum zu zweifeln, dass Dante in jenen Tagen Rom sah und dass ein Strahl von ihnen in sein unsterbliches Gedicht fiel, welches mit der Osterwoche des Jahres 1300 beginnt. Der Anblick der Weltstadt entzündete die Seele eines andern Florentiners. »Auch ich befand mich«, so schreibt Giovanni Villani, »in jener gesegneten Pilgerung, in der heiligen Stadt zu Rom, und wie ich die großen und antiken Dinge in ihr sah und die Geschichten und großen Taten der Römer las, welche Virgil, Sallust, Lucan, Titus Livius, Valerius und Paulus Orosius und andere Meister von Historien beschrieben haben, so nahm ich Stil und Form von ihnen, obwohl ich als Schüler nicht würdig war, ein so großes Werk zu tun. Und so im Jahre 1300 von Rom zurückgekehrt, begann ich dies Buch zu schreiben, zu Ehren Gottes und Sankt Johanns und zur Empfehlung für unsere Stadt Florenz.« Die Frucht der schöpferischen Aufregung Villanis war seine Geschichte von Florenz, die größte und naivste Chronik, welche Italien in seiner schönen Sprache hervorgebracht hat; und mancher andere Mann von Talent mochte damals befruchtende Eindrücke von Rom empfangen haben."


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